„Achtung, Achtung! Dies ist eine wichtige Durchsage! Wir bitten Henni Tietjen an den Frühstückstisch!“ Eine quäkende Stimme weckt mich. Es klingt, als wenn sich jemand die Nase zuhält.
Verschlafen reibe ich mir die Augen. Ich springe aus dem Bett und tapse mit nackten Füßen zur Tür. Gespannt gucke ich auf den Flur. Da ist nichts zu sehen. Ich schaue nach links zu den großen Dachfenstern. Nichts. Jetzt nach rechts Richtung Wäscheraum. Auch nichts.
Na, da höre ich doch was! Ein Glucksen. Es kommt von der alten Wäsche-Kommode. Leise schleiche ich mich zu dem Möbelstück. Es steht direkt an der Wand vor unserem Wäscheraum. Ich linse dahinter in die Ecke.
„Hab ich´s mir doch gedacht!“ Ich kichere, als ich sehe, wer hinter der Kommode hockt. Frau Großmutter! Sie hat heute eine lila Perücke auf und trägt ein Kleid mit ganz vielen Federn. Als sie mich sieht, prustet sie los.
„Guten Morgen!“ Sie strahlt mich an. „Mir ist heute nach einem richtigen Quatsch-Tag!“
„Au ja! Mir auch!“ Wie der Blitz rase ich in ihr Schlafzimmer. Hinter Omas Bett ist ein Kabuff. Darin stehen viele verschiedene Verkleidungskisten. Wie ich sehe, hat sie die Kisten schon für mich bereitgestellt.
Ich wühle mich durch die Kostüme. Vielleicht sollte ich dieses goldglitzernde Kleid anziehen? Mit einem passenden Hut? Oder lieber den Feen-Umhang? Oder das Zwergen-Kostüm?
Was ist mit diesem lila Ding hier? Ich halte ein altmodisches Kleid hoch. Es hat lauter Rüschen und eine Blume am Ausschnitt. Juppdidupp! Das gefällt mir heute!
Jetzt nur noch den Kasten mit den Perücken durchwühlen. Irgendwo muss doch dieses graue Löckchen-Dingsda sein. Ich durchforste die ganze Kiste mit den Kopfbedeckungen. Oma hat so viele verschiedene Hüte und Mützen. Hier eine schwarze Langhaar-Perücke. Da eine blonde Locken-Pracht. Die hier vielleicht? Ich ziehe an einer Haar-Strähne. Ja, genau die habe ich gesucht!
Zufrieden gucke ich in den Spiegel. Mit der grauen Löckchen-Frisur sehe ich aus wie eine alte Oma. Fehlt nur noch eine runde Brille. Dann ist es perfekt!
Ich düse runter in die Küche. Auch wenn es nicht ganz einfach ist, mit diesem lila Ungetüm am Körper, die Treppe runterzulaufen. Aber wenn ich den Rock hochhalte, kann ich sogar rennen. Frau Großmutter steht wippend am Herd und macht Kakao. Sie rührt im Takt in einem Topf und singt dabei eins ihrer Lieblingslieder. Das Affenlied aus dem Dschungelbuch: „Dubidu – ich wäre gern wie Du-u-u...“
Das sieht so komisch aus, wie Oma da im Federkleid mit den Hüften wackelt, dass ich schon wieder losgackern muss. Schnell überlege ich, was wir jetzt spielen können. Da ich mich selber ja auch als Oma verkleidet habe, setze ich ein würdevolles Gesicht auf.
„Da sind Sie ja Teuerste!“, rufe ich.
Frau Großmutter dreht sich zu mir. „Oh, meine Liebe! Wie wundervoll, Sie zu sehen. Ich rühre gerade Punsch an.“
„Wie passend! Ich hoffe, ich darf auch von dem guten Tropfen kosten?“ Ich streiche mein lila Rüschenkleid glatt und setze mich in den Sessel am Kamin.
„Selbstredend, meine Teuerste. Hier ist das wunderbare Getränk! Ein Schluck Matschwasser, ein Löffel voll Teichgrütze, ein Spritzer Krötenschleim. Und zu guter Letzt noch ein Tropfen Mäusepipi. Wohl bekomm´s!“ Sie stellt den Becher mit dem Kakao vor mich hin.
„Ach wie zauberhaft!“, rufe ich. Da ich meinen Kopf zu heftig bewegt habe, rutscht mir die Brille von der Nase. Schnell schiebe ich sie wieder hoch und schnuppere an meinem Getränk.
„Haben Sie das Rezept von ihrer Urgroßmutter?“, frage ich.
„Nein“, sagt Oma. „Ich habe es aus meiner Sammlung der schlimmsten Scheußlichkeiten!“ Sie lächelt zuckersüß.
„Ich danke Ihnen von Herzen, meine Liebe! Was unternehmen wir denn gleich?“ Genüsslich nehme ich einen Schluck Kakao.
„Nun ich dachte, wir füttern zuerst die Löwen. Was halten Sie davon?“
„Eine gute Idee! Lassen Sie mich zunächst noch dieses kleine Gebäckstück hier vernaschen.“ Ich greife geziert zu den Croissants, die auf dem Tisch stehen. Darauf noch etwas Butter und Marmelade. Lecker!
Ich verputze gleich zwei Croissants, weil die so gut schmecken. Dann laufe ich mit Oma in die alte Diele zu den Hunden.
Billie und Klaus spielen gerade „Fangen“ auf dem Hof. Sie jagen sich gegenseitig und werfen sich zu Boden. Als sie uns in unseren lustigen Klamotten sehen, kommen sie neugierig angeflitzt.
Frau Großmutter hat einen Löffel in der Hand. Mit dem will sie das Hundefutter in die beiden Näpfe verteilen. Doch, statt die Dose mit dem Futter aufzumachen, stellt sie sie wieder ab und geht entschlossen auf Klaus zu. Sie hält den Löffel wie ein Mikrofon und spricht hinein:
„Herr Klaus, zunächst eine wichtige Frage! Was planen Sie am heutigen Tag?“ Sie nimmt den Löffel und hält ihn Klaus vor die Schnauze. Er guckt sie erwartungsvoll an.
„Sie wissen es noch nicht? Kein Problem. Ich wende mich einfach an Ihre Schwester!“ Sie geht mit dem Löffel-Mikrofon zu Billie und fragt:
„Frau Billie! Welche Termine stehen heute für Sie an? Toben im Wald? Schnuppern im Mist? Oder Spaziergänger erschrecken?“
Billie will Omas Hände abschlecken. „Aha!“, sagt Frau Großmutter. „Zunächst nehmen Sie ein Frühstück zu sich. Ich frage mal eben in die Hundeküche, ob das Menü schon bereit steht.“
Sie kommt zu mir und spricht in ihr Löffel-Mikrofon: „Ich bin hier direkt in der Pfoten-Kantine. Was steht heute auf dem Speiseplan?“ Mit einem fröhlichen Funkeln in den Augen hält sie mir den Löffel hin.
„Oh“, sage ich in das Löffel-Mikro. „Das darf ich nicht verraten! Es handelt sich um ein Überraschungs-Menü für die süßesten Hofhunde der Welt!“
„Dann schlage ich einfach vor, dass wir ihnen das Essen mit einem kleinen Lied servieren!“ Frau Großmutter hakt mich ein und tänzelt mit mir zu den Hundenäpfen. Sie reicht mir Billies Schale sowie den Löffel. Dann schnappt sie sich Klaus Napf.
„Bereit?“, fragt sie.
„Bereit“, antworte ich grinsend, obwohl ich keine Ahnung habe, was wir jetzt singen.
christin.pols@t-online.de